Monatsarchiv für Oktober 2008

Kristina

Zauberlehrlinge

Was in Olmert, Livni, Barak und all den anderen Zauberlehrlingen wohl vor geht, jetzt wo die Siedler vor niemandem mehr halt machen, wo sie über’s Radio zur Rache gegen israelische Soldaten aufrufen. Vielleicht wird ihnen klar, dass sie Geister gerufen haben, die sie schon lange nicht mehr kontrollieren können. 

Und wie es ist, das Ziel dieser Geister zu sein, habe ich heute sehr hautnah erfahren. Ich habe gesehen, wie die Steine dieser maskierten Geister an uns vorbei schwirrten und wie mein Teamkollege gerade noch auf die Seite springen konnte. Ein Fotograf wurde von einem der Steine am Kopf getroffen und so weit ich weiß ins Krankenhaus gebracht. 

Zusammen mit bettlägerigen vielleicht 80-jährigen Frauen und Männern haben wir uns im Haus versteckt und gehofft, dass sie nicht eindringen.  Sie kamen nicht – Gott sei dank! Die Grenzpolizei kam ihnen zuvor! Ein Wunder, denn zuvor haben wir wie die Verrückten auf unsere Telefone eingehämmert und versucht, die israelische Polizei zu erreichen, die einfach nicht abnahm. Irgendwann haben wir sie dann über Umwege doch erreicht. 

Zu sehen, wie diese alten Menschen zusammengekauert in einer Ecke des Raumes sitzen, die Hand des pflegebedürftigen Großvaters halten und eine der Frauen laut vor sich hin betet, das war vielleicht das Schockierendste, was ich hier bisher erlebt habe. 

Was sind das für Menschen, die vor nichts halt machen? Ich hoffe Livni, Olmert und all die Zauberlehrlinge sehen wenigstens ein, dass sie die Geister, die sie gerufen haben, wenn nicht gar erschaffen haben, so einfach nicht mehr los werden.

Hintergrundinformationen zu dem Vorfall heute gibt es bei Haaretz, Jerusalem Post und sicher noch an anderer Stelle.

Update: Die Berichterstattung erreicht Europa.

Zitat aus dem Standard (Wien):

Vizepremier Haim Ramon hatte gefordert, dass sich das Kabinett mit dem Verhalten “einiger Hundert jüdischer Hooligans” befassen müsse, die Amok liefen, Armeeoffiziere prügelten, Knochen brechen und Mordversuche unternehmen würden. Die Regierung, so Ramon, stehe der Situation “zitternd und hilflos” gegenüber und die Behörden würden wortreich erklären, warum nichts gegen diese Leute unternommen werden könne. “Ich bin überzeugt, wenn es sich um Palästinenser gehandelt hätte, wären alle bereits hinter Gittern”, meinte der Vizepremier.

2. Update: Weitere Pressemeldungen aus der SZ, der ZEIT und von “euronews” (mit Film):

Die isreaelische Regierung hat nun beschlossen, illegale Siedlungen nicht länger z. B. durch den Bau von Infrastruktur zu unterstützen. Ein gutes Zeichen, merkwürdig nur, daß das ja bedeutet, daß illegalen Siedlungen vorher diese Form der Hilfe zuteil wurde.

Kristina

Yanoun – Siedler = ?

Yanoun hat etwa 150 Einwohner. Wer Hebron mit seinen 170.000 Einwohnern gewohnt ist, findet Yanoun klein. Die Yanouner halten den Ort aber für groß genug, um ihn in zwei Ortsteile zu teilen: in Ober- und Unter-Yanoun. Der Ort ist wunderschön gelegen und man kann an manchen Aussichtspunkten bis nach Jordanien und ins Jordantal schauen. Es wäre ein Paradies, wenn da nicht etwa alle vierzehn Tage während des Shabbats Siedler der umliegenden Berge mit ihren M16 durch den Ort patrouillieren und die Bewohner verängstigen würden. Die Tage in Yanoun heißen daher Sunday, Monday, Tuesdays, Wednesday, Thursday, Friday und Settlersday.

Die Siedler sehen das natürlich völlig anders: in deren Augen scheinen die Dorfbewohner allesamt Terroristen zu sein und daher wird der Ort von allen Seiten mit Hilfe von Wachtürmen und Scheinwerfern Tag und Nacht überwacht. Das hat zumindest den Vorteil, dass die Bewohner keine eigene Straßenbeleuchtung brauchen. 

Die Antwort auf die Eingangsformel muss also lauten: ? = Paradies

Weil ich mich nicht entscheiden konnte, welche Fotos ich hochlade, gibt’s an dieser Stelle ‘ne große Galerie:

Matthias

Nahost-Kino

epd Film widmet sich im eben erschienenen November-Heft der Filmszene Israels. Anlaß ist wohl, daß kommende Woche, wie erwähnt, der Film “Waltz with Bashir” in Deutschland ins Kino kommt (der, wie ebenfalls bereits erwähnt, unbedingt sehenswert ist).

Neben einer ausführlichen Filmkritik von Georg Seeßlen und einem Interview mit dem Regisseur Ari Folman beschreibt ein auch online verfügbarer Artikel von Marli Feldvoß die Entwicklung des israelischen Kinos. Dieses habe in den vergangenen Jahren nicht nur einen Boom erlebt, sondern auch eine Emanzipation durchgemacht:

Man braucht im Grunde nur ins Kino zu gehen, wenn man sich mit den unterschiedlichen Problemen des Einwanderungslandes auseinandersetzen will, dessen Bevölkerung, wie sich heute zeigt, partout nicht in einem Melting Pot aufgehen will, wie es die Gründerväter beabsichtigten, sondern in eine bunt gewürfelte Stammesgesellschaft mit vielen partikularen Interessen zerfällt. Dieser Tatsache kommt die »Neue Welle« des israelischen Kinos entgegen, die sich in den letzten Jahren herausgebildet hat. Hauptmerkmal dieser Strömung ist, dass die Filmemacher sich nicht mehr der zionistischen Doktrin verpflichtet fühlen, sondern mit der eigenen Stimme sprechen, ihre persönliche Sichtweise hervorkehren – das Ich und nicht das Wir –, Fragen der eigenen Identität in den Mittelpunkt stellen.

Seeßlen diskutiert (und verteidigt) in seiner Filmkritik die Entscheidung Ari Folmans, seinen dokumentarischen Film in der ungewöhnlichen Form des Trickfilms zu drehen:

In dieser Form [des Trickfilms] hebt sich eine “Geschichte von unten” auf; an die Stelle eines mächtigen technologischen Apparates, der immer einen Rest des Obszönen hat gegenüber dem realen Leiden von Menschen in der Geschichte, tritt die subjektive und subversive Kraft des Zeichenstifts. Hier ist das Autobiografische keine Behauptung mehr. Denn die Stilisierung des Films entfernt sich weit vom State of the Art der computergenerierten Animation der Blockbuster: Es sind Bilder, die die Erinnerung zurückfordern von der “offiziellen Lesart”, von der Medienhysterie.

Das Heft sollte spätestens in den nächsten Tagen im Zeitschriftenhandel auftauchen.

(Text vom Blogvertretungslückenfüller Matthias)

Matthias

taz vor Ort

Derzeit findet eine taz-Leserreise “in die Zivilgesellschaft” Palästinas und Israels statt.

Jasna Zajcek berichtet im taz-Blog “Report vor Ort“. Der jüngste Artikel: “Orte, an denen man nicht leben möchte: z.B. Hebron“.

(Kristina ist übrigens derzeit untergetaucht besucht derzeit das EAPPI-Placement in Yanoun, einem kleinen Ort in der Westbank, in dem das Internet noch nicht erfunden wurde …)

Kristina

Medienecho

Die Räumung des Siedlungs-Außenposten findet erfreulicherweise breite internationale Resonanz. Unter anderem Spiegel online hat berichtet darüber. Hier der Link

Und hier ein paar Fotos der beschädigten Autos von gestern:

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