Kristina

Terrorist mit Spielzeugpistole?

Unser Tag hat am Sonntag völlig harmlos begonnen: wir haben eine Gruppe tahitianischer Touristen die Shuhada-Street entlang nach Tel Rumeida gelotst und ihnen eine Stadtführung gegeben. Als wir durch einen Olivenhain gekommen sind, sahen wir zwei Soldaten in ein palästinensisches Haus gehen. Unterhalb des Hauses waren etwa acht Soldaten in Stellung gegangen und kontrollierten das Gelände. Wir standen da, mit einem Gefolge von 20 tahitianischen Inselbewohnern, die nicht recht wussten, was vor sich geht. Kurze Zeit später wurden wir von zwei Soldaten gestoppt.

Mehrere Soldaten riefen, dass wir verschwinden sollen und “No Photos, No Photos!” und zielten mit ihren Gewehren auf uns. Die Tahitianer waren sichtlich verstört und zwei von uns brachten sie so schnell wie möglich in die H1-Zone, den palästinensisch kontrollierten Teil Hebrons. 

Michael, Warren (ein EA aus Jerusalem) und ich blieben – in sicherem Abstand. Wir hielten die Passanten auf, es waren überwiegend Kinder auf ihrem Heimweg von der Schule. Später ging ich noch mal auf einen Soldaten zu, um zu fragen was los ist und ob die Kinder eventuell passieren dürfen. Er sagte nur: “There’s a terrorist with a gun. Leave the area and stopp everyone. It’s dangerous!”

Wir stoppten jeden, riefen die entsprechenden Notfall-Nummern an und unterhielten die Kinder. Währenddessen sahen wir zu, wie mindestens zwei Männer in den Olivenhain gingen, dort gestellt und festgehalten wurden. Die ganze Szenerie dauerte etwa 75 Minuten bis anderthalb Stunden. Irgendwann verschwand das IDF (Israeli Defense Force).

Tina und Ashwin, die die Tahitianer kurz vorher verabschiedet hatten, riefen an um zu sagen, dass sie jetzt im Haus der Familie sind, in dem vorher die Soldaten waren. Wir kamen nach und was wir sahen war ein völlig auf den Kopf gestelltes Haus: Möbel übereinander gestapelt, die ‘Innereien’ der Schränke überall im Haus verteilt, völlig verstörte Kinder, eine in Tränen aufgelöste Mutter, ein Mann mit einem geschwollenen Gesicht. Er war einer der Männer, die wir beobachtet hatten, wie sie auf die Soldaten zugingen und festgenommen wurden.

Wir fingen an, die Familien (drei Familien leben in dem Haus) zu befragen, soweit unter diesen Umständen möglich.

Sie erzählten uns Folgendes: Soldaten sind in die Wohnung gekommen und brachten alle in einen Raum. Zu diesem Zeitpunkt waren nur Frauen und Kinder zuhause. Dann haben die Soldaten begonnen, jeden Raum auseinander zu nehmen. Die Frauen schafften es, ihre Männer anzurufen. Es waren die Männer, die sich nicht davon abhalten liessen in den Olivenhain zu gehn. Einen der beiden Männer schlugen die Soldaten laut Aussage der Familie mit Fäusten und mit einem Gewehr auf den Rücken (Kinder, die bei uns waren, während wir die Passanten aufgehalten haben, hatten uns bereits vorher berichtet, dass sie gesehen haben, wie die Soldaten jemanden geschlagen haben. Wir selbst haben aber nichts gesehen). Während der ganzen Zeit hat ihnen keiner der Soldaten Informationen gegeben oder gesagt, was der Grund für das Vorgehen ist. Irgendwann ist das IDF wieder verschwunden. Inhaftiert wurde niemand.

Die Polizei wurde mehrmals verständigt, aber niemand kam. Eines der Teammitglieder, Michael, machte sich irgendwann auf die Suche nach einem Polizisten und hat auch einen getroffen. Er saß etwa 500 Meter Luftlinie entfernt, vor der israelischen Siedlung Beit Hadassa. Der Polizist meinte aber nur, dass ihn das nichts anginge, Michael ja auf der Seite der Araber sei und ob er nichts von der Shoah (vom Holocaust) gehört hätte.

Gestern habe ich mit einem internationalen Beobachter der Organisation TIPH über den Vorfall gesprochen. TIPH (Temorary International Presence in Hebron) ist die einzige Beobachter-Organisation mit offiziellem Mandat und sie ist sowohl von israelischer als auch von palästinensischer Seite autorisiert. Der TIPH-Beobachter vermutete, dass die Soldaten einen Grund für das Eindringen in das Haus hatten, dass dies aber in keinster Weise ihr Vorgehen legitimiert. Ein möglicher Grund: Vor ein paar Tagen waren in Hebron in der Gegend um die Ibrahimi Moschee zwei Siedlerjungen geschlagen und so sehr verletzt worden, dass sie ins Krankenhaus mussten. Wir haben davon aus der Zeitung erfahren. Wer weiß, vielleicht bestand der Verdacht, dass die Familien etwas damit zu tun hatten.

Der TIPH-Beobachter erzählte außerdem noch etwas anderes: Es gäbe ein spezielles Ramadan-Problem mit den Hausdurchsuchungen. Viele Kinder bekommen während des Ramadan Spielzeugpistolen geschenkt. Wenn die Armee Spielzeugpistolen sieht, nehmen sie das manchmal zum Anlass für Hausdurchsuchungen. 

Das Interessante daran: Auf meinem ersten Foto habe ich beim Reinzoomen entdeckt, dass ein Soldat dem anderen im Eingangsbereich des Hauses eine Spielzeugpistole zeigt. Wer weiß, vielleicht ist das der Hintergrund der Aussage des Soldaten: “There’s a Terrorist with a gun … It’s dangerous”?

5 Kommentare zu “Terrorist mit Spielzeugpistole?”

  1. katrinam 30.09.2008 um 11:09

    Ich kann mich erinnern, dass vor vielen Jahren…da war auch in der Zeitung ein Artikel, dass ein palästinensischer Jungendlicher von einem Israeli erschossen wurde, weil er an Fasching (???? ramadan-Ende wars nicht) verkleidet mit einer Spielzeugpistole rumlief…Das zeigt finde ich, welche angstvolle Hochspannung dort herrscht…

  2. frau zam 03.10.2008 um 22:49

    …ja, und schlagartig wird (mir wenigstens) noch einmal aufs deutlichste bewusst, wie wichtig Kristinas Einsatz und "Hinsehen" generell ist. Wusste es vorher schon auch – trotzdem: Danke fürs dort sein.

  3. Maximilianoam 01.12.2014 um 0:10

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  4. Ritaam 09.03.2015 um 2:57

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  5. Madhuam 13.04.2015 um 2:45

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